Manchmal blicke ich auf die vergangenen Jahre und staune:
Mein Sohn ist heute 20.
Ein junger Mann, eigenständig, tiefgründig, voller Herz.
Und doch sehe ich in seinen Gesten, in seinen Worten, in seinem Blick noch immer das hochsensible Kind, das mich so vieles gelehrt hat – oft leiser, oft klarer, oft ehrlicher als jedes große Lebensereignis.
In seinen kleinen und großen Kämpfen spiegelte er mir nicht nur sein eigenes Inneres – sondern auch meines.
Und vielleicht war genau das eines der größten Geschenke, die ich bekommen durfte.
Erinnerungen an kleine Spiegelmomente
Es gab Zeiten, da fiel es mir schwer zu verstehen, warum scheinbare Kleinigkeiten meinen Sohn so tief bewegten:
- Warum ein strenger Blick ihn so verletzte.
- Warum ein voller Raum ihn zum Rückzug zwang.
- Warum eine beiläufige Bemerkung tagelang in ihm nachhallte.
Er war wie ein feiner Seismograph – für Stimmungen, für Ungerechtigkeiten, für jede noch so kleine Veränderung.
Und während ich ihn begleitete, erkannte ich:
Ich war genauso.
Ich hatte es nur gelernt, besser zu verstecken.
Mein Sohn hielt mir einen Spiegel vor – nicht um mich zu beschämen, sondern um mich daran zu erinnern, wer ich wirklich war.
Was mein Sohn mir damals gezeigt hat (und noch immer zeigt)
1. Gefühle sind keine Schwäche
Ich wuchs in einer Zeit auf, in der man oft „tapfer“ sein musste.
Tränen wurden heruntergeschluckt, Verletzungen überspielt.
Mein Sohn zeigte mir, wie mutig es ist, Gefühle zuzulassen – in all ihrer Wucht und Echtheit.
Er lehrte mich, dass wahre Stärke nicht darin liegt, nichts zu fühlen – sondern darin, sich berühren zu lassen.
2. Langsamkeit ist ein Geschenk
Während andere Kinder scheinbar mühelos neue Situationen meisterten, brauchte mein Sohn Zeit.
Zeit zum Ankommen, Zeit zum Verstehen, Zeit zum Wachsen.
Er erinnerte mich daran, wie wertvoll ein langsamer, bewusster Weg sein kann.
Und dass nicht Schnelligkeit, sondern Tiefe das Leben reich macht.
3. Nicht alles muss sofort “repariert” werden
Als Mutter wollte ich oft sofort helfen, sofort lösen, sofort trösten.
Doch mein Sohn zeigte mir:
Manchmal braucht es nicht die schnelle Antwort.
Manchmal reicht es, einfach da zu sein.
Zu halten.
Mit auszuhalten.
Und zu vertrauen, dass auch schwere Gefühle ihren eigenen Weg finden dürfen.
Die schwierigen Spiegel – und wie wir an ihnen gewachsen sind
Es gab auch dunklere Spiegel:
- Momente, in denen seine Wut meine eigene alte Hilflosigkeit aufrührte.
- Zeiten, in denen sein Bedürfnis nach Rückzug meine Angst vor Distanz traf.
- Phasen, in denen ich mehr retten wollte, als er gerettet werden wollte.
Diese Momente waren nie einfach.
Aber sie waren echt.
Und sie zwangen mich, nicht nur ihn zu begleiten – sondern auch mich selbst.
In seiner Zartheit lag die Einladung, auch meine eigene Zartheit wieder anzunehmen.
In seinem Schmerz lag die Chance, meinen eigenen Schmerz endlich zu sehen.
Heute: Ein Blick voller Dankbarkeit
Heute ist mein Sohn erwachsen.
Er geht seinen eigenen Weg – feinfühlig, nachdenklich, mit dieser leisen, kraftvollen Tiefe, die ihn von Anfang an ausgemacht hat.
Ich bin nicht nur stolz auf ihn.
Ich bin auch unendlich dankbar:
Für all die Lektionen, die wir miteinander – manchmal schmerzhaft, oft still, immer ehrlich – gelernt haben.
Für das Wachsen auf beiden Seiten.
Für eine Liebe, die nicht auf Perfektion beruht, sondern auf echtem Sehen und Sein.
Was bleibt
Wenn ich heute zurückblicke, weiß ich:
Nicht ich habe ihn “geformt”.
Er hat auch mich geformt.
Nicht ich war nur seine Lehrerin.
Er war oft mein Lehrer.
Und vielleicht liegt darin das schönste Geheimnis des Elternseins:
Unsere Kinder sind nicht nur die, die wir begleiten.
Manchmal sind sie die, die uns nach Hause führen – zu uns selbst.
Wenn auch du spürst, dass dein hochsensibles Kind dich auf eine besondere Weise berührt, stärkt und wachsen lässt, dann findest du auf meiner Seite viele Impulse, um diesen Weg liebevoll und achtsam zu gehen.